Monika Treut über Ihren Film

 

Vor über 30 Jahren schrieb ich eine Dissertation zum Frauenbild bei Marquis de Sade und Sacher-Masoch. Daraus entwickelten damals Elfi Mikesch und ich den Film VERFÜHRUNG: DIE GRAUSAME FRAU, der über die vielen Jahre einen kleinen Kultstatus erreicht hat, gerade weil er gegen ein realistisches Kino auf extreme Stilisierung und Fantastik gesetzt hat. Andere Filme wie DIE JUNGFRAUENMASCHINE und MY FATHER IS COMING folgten, als ich als Exilantin im amerikanischen "Underground" und in der frühen Queer-Bewegung mit verschiedenen Genres experimentierte und auch dokumentarisch arbeitete. Es ging mir dabei immer um eine Befreiung der weiblichen Sexualität und Identität. Mein Horizont erweiterte sich dann Ende der 1990er Jahre durch das Thema Transsexualität in MAX und GENDERNAUTS, bevor ich dann auch neugierig auf andere Kulturen wurde.

FilmstillFilmstillFilmstill

In Brasilien und Taiwan drehte ich mehrere Filme, u. a. KRIEGERIN DES LICHTS und GHOSTED, die um die Rolle der Frauen kreisten und einen weiteren Horizont hatten. Mit VON MÄDCHEN UND PFERDEN kehre ich jetzt sozusagen zurück zu meinen biografischen Anfängen: aus den Großstädten New York, Rio und Taipeh in die Deichlandschaft, zurück in eine Provinz, in der ich aufgewachsen bin.

Aber vor allem: zurück zu den Pferden, die meine besten Freunde waren in der schwierigen Zeit des Erwachsenwerdens. Ich war fasziniert von der Gemeinschaft von Mädchen und Pferden, es war eine Gemeinschaft ohne Jungs und Männer, ein "bonding" zwischen den Tieren und den Mädchen und Frauen. Dass ich mit meiner Faszination nicht alleine war, zeigt die große Anzahl von Pferdebüchern und -filmen, in denen es um diese Beziehungen geht.

FilmstillFilmstillFilmstill

Aber ich wollte keinen Ponyhof-Film drehen, sondern einen Film aus der Perspektive der Erwachsenen über die Teenagerzeit machen. Über die Freundschaft mit gleichaltrigen Pferdemädchen konnte ich damals meine Probleme in den Griff kriegen. Als gefährdeter Teenager zwischen apathischen Eltern, schulischem Druck und Gender- und Identitätsproblemen hat mir der intensive Kontakt zu den Pferden und Ponys und zu den gleichaltrigen Mädchen ein anderes Selbstbewusstsein gegeben. Die Körperlichkeit und Energie des Reitens, das Pflegen und Zähmen der scheuen und starken "Fluchttiere" hatte eine eigene Erotik, die uns bezauberte und erdete. Aus dieser unschuldigen, energetischen Perspektive wollte ich einen einfachen Film erzählen: wie ein "troubled teenager" durch den Kontakt mit den Pferden langsam fähig wird, eine Beziehung zu sich selbst aufzunehmen und Vertrauen zu anderen aufzubauen. Dabei habe ich bewusst auf dramatische Verwicklungen der Geschichte verzichtet, auch auf allzu viel Dialoge, sondern die Erzählung des Films auf eine direkte Erfahrung und sensible psychologische Veränderungen im Verhalten der Figuren konzentriert, die sich oft nur in Blicken und Gesten äußern. Dabei spielt die weite Deichlandschaft und der Ort, ein Bauernhof an der dänischen Grenze, eine große Rolle, ebenso wie die Pferde selbst, die eine starke Präsenz haben.

Eine große Herausforderung war das extrem kleine Budget, das mich erstens dazu gezwungen hat, ein offenes, kurzes Drehbuch zu schreiben, mit wenig Dialog, so dass Platz war für Improvisation und um Dokumentarisches einzufangen; und zweitens, vor allem: mit einem minimalen Team von nur vier KollegInnen zu arbeiten: Kamera, Ton, Produktions-/Aufnahmeleitung und Catering. Das hatte zwar den Vorteil, dass es sehr kurze Kommunikationswege gab, aber es brachte auch jede Menge Doppelbelastung für die winzige Crew. Drittens hatten wir nur achtzehn Drehtage - sechzehn auf dem Land und zwei in Hamburg. Wir waren abhängig vom extrem wechselhaften Wetter, das unsere Drehpläne ständig umwarf, so dass wir immer flexibel und schnell reagieren mussten. Geholfen hat, dass wir einen Haupt-Drehort hatten: den Hof Rickelsbüll, auf dem wir auch alle wohnten, wir: drei Schauspielerinnen und das Team, viel Kommunikation, aber auch die Gefahr des Lagerkollers.

Wenn man sich auf ein solch verrücktes Projekt einlässt, ist klar, dass die Darstellerinnen handverlesen sein müssen. Mit Vanida Karun, die Nina, die charismatische Reitlehrerin, spielt, bin ich seit einiger Zeit gut befreundet und habe sie früh in die Entwicklung des Films einbezogen. Ich wusste, dass sie ein besonderes Verhältnis zu Pferden hat, sie reitet seit ihrer Jugend und spielte unter anderem bei den Karl-May-Festspielen in Bad Segeberg mit. Die beiden jungen Darstellerinnen für die Rollen der Kathy und der Alex zu finden, war nicht so einfach. Lange saß ich über Casting-Videos und wählte eine Anzahl Kandidatinnen aus, die wir zu Gesprächen einluden. Schnell entschied ich mich dann für Ceci Chuh (Alex), die mir in DIE UNERZOGENEN sehr gut gefallen hatte, und für Alissa Wilms als Kathy (TOTEM). Aber passten die beiden auch zusammen? Ein gemeinsamer Casting-Ausflug aufs Land, wo Alissas Pferd untergebracht war, brachte die positive Antwort. So verschieden die beiden auch waren, die Chemie zwischen ihnen stimmte. Wunderbar bei beiden ist auch die Lust am Spiel und an der Improvisation. Vor Beginn der Dreharbeiten verbrachte ich ein Wochenende am Drehort mit den drei Darstellerinnen, damit sie sich mit den Bedingungen vor Ort und ihren Rollen vertraut machen konnten. Überhaupt hatte ich vor den Dreharbeiten öfters den Hof Rickelsbüll besucht, die Bauern und ihr soziales Umfeld kennen gelernt und Zeit mit den Pferden verbracht. Eine große Hilfe war auch die junge Pferdeflüsterin Louise Foos, die uns alle in ihrer Kunst schulte.

Genauso wichtig wie das Casting war das Zusammenstellen des Teams: meine Freundin Sabine Steyer, selber auch Regisseurin (u.a. MS. SENOIR SWEETHEART), unterstützte das Projekt tatkräftig von den ersten Vorbereitungen an und erwies sich als kongeniale Mitarbeiterin in der Doppelfunktion als Produktionsund Aufnahmeleiterin, und, wenn sie noch ein bisschen Zeit und Energie übrig hatte, auch als Regie- und Kameraassistentin.

Als Kamerafrau wollte ich jemanden haben, die Pferde liebte und möglichst auch Reiterfahrung hatte. Nach einigen Umwegen kam ich mit Birgit Möller zusammen, die ich als Regisseurin von VALERIE kennen und schätzen gelernt hatte. Birgit liebt Tiere und besonders auch Pferde. Ihre Arbeit als Kamerafrau (u. a. TANGERINE) mochte ich sehr gerne und so passte es perfekt. Wir tauschten DVDs aus und entwickelten ein Konzept für die visuelle Umsetzung. Wir wollten besonders nah an den Pferden sein und ihnen eine starke Präsenz geben.

In den Drehpausen nahm Birgit Reitunterricht bei der Pferdeflüsterin Louise Foos und später schnappte sie sich manchmal eins der Pferde und machte einen kleinen Ausritt zur Erholung. Den klugen Tonmann Oliver Göbel (DIE FREMDE, ALLE ANDEREN), der ebenfalls auch Filmemacher ist, fanden wir über Birgit und Sabine. Er hatte mit beiden schon gearbeitet und nahm die Herausforderung unseres Low-Budget-Abenteuers im hohen Norden gerne an.

Das Team komplett machte meine Hamburger Freundin und langjährige, bewährte Kollegin Madeleine Dewald, die Lust hatte, den Schnitt zu übernehmen. Madeleine kam immer wieder für einige Tage, begann, den Ton zu synchronisieren, und wir diskutierten zusammen das Material. So konnten wir dann einiges, was fehlte, am Ende noch nachdrehen.

Aber vielleicht am Allerwichtigsten war der Drehort selbst, Hof Rickelsbüll, auch Ehlershof genannt, in Rodnäs, eine winzige, verstreute Gemeinde am nordwestlichsten Punkt der BRD, zwei Kilometer von der dänischen Grenze entfernt. Er gibt dem Film seine Farbe und seinen Charakter. Ich suchte wochenlang nach einem geeigneten Drehort, durchforstete das Internet, befragte Freundinnen. Eine Auswahl aus mehreren Möglichkeiten war dann getroffen und an einem Wochenende fuhren Sabine und ich los, um mögliche Drehorte genauer anzuschauen. Hof Rickelsbüll war perfekt. Warum? Der Hof lag malerisch direkt hinterm Deich, und davor erstreckte sich bis an den Horizont ein großer naturgeschützter Koog, bevölkert von den hofeigenen über 100 Angus-Rindern und einer freilebenden Herde von 20 Jungpferden, darüber der endlose, oft dramatische Himmel. Die auf dem Hof lebenden Pferde waren entspannt und vertrauensvoll und ließen die Dreharbeiten geduldig über sich ergehen. Und vor allem die Bauern, Ulrike und Peter, waren eine Entdeckung: ohne das Drehbuch zu kennen, unterstützten sie uns großzügig in allen Belangen und übernahmen kleine Rollen im Film. Wir sind seitdem gute Freunde geworden und, was mich besonders freut: sie lieben den Film VON MÄDCHEN UND PFERDEN.

Monika Treut